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Regenbogenfamilie

„Wir sind die Familie – unser Kind, die Mama und die Mami“

Unsere Autorinnen berichten von ihren Erfahrungen als Regenbogenfamilie. Von den Gemeinsamkeiten zu anderen Familien – und von den Unterschieden. Und von diesem Ort in München, an dem das #wirhilft.

„56.655 Artikel bei der Suche nach “Familie” gefunden“, spuckt die Suchfunktion unseres Lieblingsbuchladens aus. Eine überwältigende Zahl an Elternratgebern, Fach- und Sachbüchern sowie Literatur zum Thema „Familie“. Ganz anders sieht es da aus, wenn man der Familie den Regenbogen voranstellt: „35 Artikel bei der Suche nach “Regenbogenfamilie” gefunden“ – ein sehr überschaubares Ergebnis. 

Wie alle Eltern hatten wir bei der Familienplanung, während der Schwangerschaft und jetzt, wo das kleine Bündel Glück da ist, viele Fragen, Hoffnungen und durchaus auch Bedenken. Bei 56.655 Titeln ist garantiert das ein oder andere Werk dabei, das Antworten liefert. Antworten auf und bei all den kleinen und großen Fragen zu Schlaf, Beikost oder Bauchweh.

Gemeinsame Unterschiede

Trotzdem haben wir als Regenbogenfamilie noch ein paar Themen, die uns ganz allein betreffen. Dies fängt bei der praktischen Frage an, wie man als gleichgeschlechtliches Paar überhaupt ein Kind bekommen kann. Die Konstellationen sind bunt wie der Regenbogen. Dann geht es mit rechtlichen Fragen weiter. Homosexuelle Elternpaare sind heterosexuellen Paaren keinesfalls gleichgestellt. Von der rechtliche Anerkennung und dem Schutz des Kindes durch das Gesetz bis hin zu Fragen der gesellschaftlichen Akzeptanz der eigenen Familie.

Bei 35 Titeln kann man nun nicht von komplett fehlender Auswahl sprechen. Aber es zeigt doch ganz klar ein Ungleichgewicht im Bereich der „literarischen Selbsthilfe“, wenn man das so nennen möchte. 

Noch deutlicher wird es, wenn man nach Beratungsangeboten und Austauschmöglichkeiten von Mensch zu Mensch sucht. Beratungs- und Unterstützungsangebote sowie Gruppentreffen zum Elternwerden und Elternsein bieten zig verschiedene Träger. Von der Landeshauptstadt über kirchliche und konfessionslose Verbände bis hin zu privaten und Selbsthilfe-Organisationen.

Angebote, die sich gezielt an gleichgeschlechtliche Eltern richten, sind hingegen quasi nicht vorhanden. Zum Glück leben wir in München, wo es seit 2017 das Regenbogenfamilienzentrum („Treffpunkt, Fach- und Beratungsstelle Regenbogenfamilien“, kurz RFZ) gibt. Außer in Berlin findet man so etwas in Deutschland bisher nicht. Das Zentrum ist eine städtisch geförderte Einrichtung mit Beratungs- und Informationsangeboten. Außerdem gibt es dort Veranstaltungen für Eltern, Kinder und die ganze Familie. Ebenso wie für Organisationen und Fachkräfte, dessen Einzugsgebiet weit über die Stadt München hinausgeht. 

Ein Zentrum für die Regenbogenfamilie

Auch wir haben die Beratung dort sehr dankbar angenommen, als es noch um die Familienplanung ging. Heute, wo wir zu dritt sind, freuen wir uns, dass uns das RFZ eine Plattform bietet. Hier können wir unsere ganz spezifischen Themen mit Menschen, die ähnliche oder sogar die gleiche Erfahrung gemacht haben, besprechen.

So ist beispielsweise der ganze Adoptionsprozess bei der Stiefkindadoption doch sehr emotional besetzt. Für uns selbst ist klar: Wir sind die Familie, unser Kind, die Mama und die Mami. Wir haben diese Familie geplant, haben die Schwangerschaft und Geburt gemeinsam gemeistert und ziehen nun zusammen dieses kleine Wesen groß.

Das Gesetz sieht es allerdings nicht so. Wir können nicht beide automatisch Elternteil sein, wie es in heterosexuellen Beziehungen der Fall ist. Sondern die andere, nichtleibliche Mutter muss im Rahmen einer sogenannten Stiefkindadoption das Kind adoptieren.

Dieser Vorgang läuft über das Familiengericht und das Jugendamt. Als der erste Brief vom Jugendamt bei uns eintrudelte, war die Aufregung groß. Die Unsicherheit aber auch, schließlich wollen wir nichts falsch machen oder vergessen und den Prozess gefährden. Denn bevor sich ein*e Mitarbeiter*in zum Hausbesuch ankündigt, muss ein Lebensbericht geschrieben werden, gespickt mit vielen sehr persönlichen Details.

Doch wie genau soll denn dieser Bericht aussehen? Wie lang soll er sein, damit man einen möglichst positiven Eindruck beim Jugendamt hinterlässt? Wie dankbar waren wir da um die Möglichkeit, in der RFZ-Facebookgruppe schnell und unkompliziert von den Erfahrungen anderer Regenbogeneltern zu profitieren!  

Austausch – online & offline

Doch nicht nur bei Facebook bietet das RFZ die Möglichkeit zum Austausch, sondern auch dadurch, dass die Räumlichkeiten verschiedenen Gruppen für Treffen zur Verfügung gestellt werden.

So findet regelmäßig der Brunch der LesMamas e.V. (für lesbische Frauen mit Wunschkindern und Kinderwunsch) in den Räumen statt. Es gibt Treffen für schwule Väter und auch Krabbel- und Spielgruppen für Babys, Kinder und ihre Eltern werden angeboten. Und richtig: Babys aus Regenbogenfamilien krabbeln natürlich nicht anders, aber die Eltern können sich über die allgemeinen, aber eben auch über die für sie spezifischen Themen austauschen.

Manchmal ist es außerdem einfach schön, sich in einer Gruppe Menschen aufgehoben zu fühlen. Einer Gruppe Menschen, in der man sich nicht erklären muss oder für etwas Besonderes gehalten wird, sondern wo das Besondere ganz normal ist. Das gleiche gilt natürlich auch für die Kinder selbst. Denn sie haben ebenfalls Themen, die allen Kindern gleich sind und zusätzlich noch ihre eigenen „regenbogenspezifischen“ Angelegenheiten. Hier können sie mit anderen sprechen, die ähnliche Erfahrungen machen oder gemacht haben.

Das reale und das virtuelle Bücherregal mögen also vielleicht (noch) nicht spezifische Informationen und Ratgeber in Hülle und Fülle bietet. Doch in München gibt es diese eine Anlaufstelle, wo man als Regenbogenfamilie alles Wissenswerte direkt erfahren kann – nämlich von Mensch zu Mensch, #wirhilft eben!

Nicole Kösters, 38 Jahre, Lehrerin und Bettina Wagner, 41 Jahre, Sozialmanagerin leben seit Juli 2015 in einer eingetragenen Lebenspartnerschaft, die sie im Juli 2018 in die Ehe umtragen ließen. Seit Oktober 2018 sind sie stolze Eltern eines Kindes.

Foto: Privat

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